Lena Bueche – 5. Mai 2020
Mitten im Blau der Weltmeere treiben bunte PET-Flaschen, Verpackungsfolien und Einkaufstüten. Von Meeresströmungen zusammengetragen, bilden sie riesige Müllteppiche. Dabei macht das, was auf der Wasseroberfläche schwimmt, nur etwa 1 Prozent des gesamten Plastiks aus. Der weitaus grösste Teil sinkt in die Tiefen des Meeres ab. Darunter befinden sich auch winzige Teilchen und Fasern, sogenanntes Mikroplastik.
Weil sich Mikroplastik nur äusserst langsam zersetzt, reichert es sich in der Umwelt an. Es steht im Verdacht, über die Nahrungskette in den Menschen zu gelangen. Deshalb interessieren sich Forscher dafür, was mit dem Mikroplastik geschieht, nachdem es auf den Meeresgrund gesunken ist.
Detaillierte Untersuchung im Mittelmeer
Eine europäische Forschergruppe hat deshalb genauer untersucht, wie Mikroplastik auf dem Meeresboden verteilt ist. Sie fand heraus, dass – anders als frühere Studien es vermuten liessen – nicht allein das senkrechte Absinken für die räumliche Verteilung entscheidend sei. Vielmehr würden bodennahe Strömungen bestimmen, wo sich das Mikroplastik ablagere. Das schreibt die Gruppe um Ian Kane in der neusten Ausgabe der Fachzeitschrift «Science».
Für ihre Studie wählten die Forscher das Tyrrhenische Meer, ein Tiefseebecken im Mittelmeer. Es befindet sich im Dreieck zwischen Sardinien, Sizilien und dem italienischen Festland. Dieses Untersuchungsgebiet hat den Vorteil, räumlich eng begrenzt zu sein. Im Unterschied zu den offenen Ozeanen lässt sich hier besser abschätzen, woher der Plastikabfall stammt. Ausserdem sind detaillierte Daten zum Relief des Meeresbodens vorhanden.
Höchste je gemessene Konzentration von Mikroplastik
An sechzehn Stellen bohrten die Forscher in den Boden und entnahmen Sedimentproben. Daraus extrahierten sie das Mikroplastik. Dabei beschränkten sie sich auf sehr kleine Teilchen und Fasern mit einer maximalen Länge von 1 Millimeter.
Alle Proben enthielten sehr viel Mikroplastik. Bei einer Probe wurde gar eine Konzentration von 1,9 Millionen Partikeln pro Quadratmeter festgestellt. Das sei weltweit die bisher höchste je in einem Tiefseeboden gemessene Konzentration, schreiben die Forscher.
Das Mikroplastik stammt zum grössten Teil vom Land und wird über die Flüsse ins Meer gespült. Überraschenderweise fanden die Forscher das meiste Mikroplastik aber nicht etwa in Küstennähe, sondern in den tiefer gelegenen Bereichen des Meeres.
Grund für diese Verteilung sind bodennahe Strömungen. Das entnehmen die Forscher einem hydrodynamischen Modell, das das Relief des Meeresbodens berücksichtigt und Rückschlüsse auf den Verlauf, die Geschwindigkeit und die Intensität der Meeresströmungen erlaubt: Wo ständig starke Strömungen über den Meeresboden ziehen, setzt sich nur wenig Mikroplastik ab. An anderen Stellen – dort, wo auch mineralische Sedimente abgelagert werden – sammelt sich hingegen viel Mikroplastik an.
Dieselben Strömungen, die dafür sorgten, dass Sedimente und Mikroplastik akkumuliert würden, transportierten auch Nährstoffe und Sauerstoff. Damit sammle sich das Mikroplastik genau an jenen Stellen, wo auch optimale Lebensbedingungen für eine Vielzahl verschiedener Organismen herrschten, schreiben die Forscher.
Mikroplastik findet sich fast überall
Mikroplastik wurde bereits im Verdauungstrakt ganz unterschiedlicher Tiere nachgewiesen: in Muscheln, Fischen, Seehunden, Walen oder Vögeln zum Beispiel. Was es dort genau anrichtet, ist noch wenig untersucht. Gewiss ist allerdings, dass viele Kunststoffe gesundheitlich bedenkliche Substanzen enthalten. Dazu zählen zum Beispiel Weichmacher. Ausserdem können sich an der Oberfläche von Plastikpartikeln weitere toxische Stoffe anlagern, wie etwa DDT.
Jährlich gelangen riesige Mengen Plastikabfälle ins Meer. Allein im Jahr 2010 sollen es zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen gewesen sein, schätzt eine andere Studie aus «Science». Mit der Zeit werden alle diese Abfälle durch chemische und physikalische Vorgänge zu Mikroplastik zerkleinert.
Kleinste Plastikteile entstehen aber auch andernorts. Beim Waschen von synthetischen Textilien zum Beispiel werden einzelne Fasern abgelöst; oder beim Autofahren, wo durch den Reifenabrieb feine Partikel freigesetzt werden. Dazu kommt, dass Kunststoffkügelchen absichtlich hergestellt werden: etwa für Peelings, Zahnpasta oder Duschgel. Egal aus welcher Quelle: Über das Abwasser gelangt das Mikroplastik schliesslich in die Flüsse und von da ins Meer, wo es für Jahrzehnte verbleibt.
Folgen Sie der Wissenschaftsredaktion der NZZ auf Twitter.
Nachrichtenartikel mit freundlicher Genehmigung von Neue Zürcher Zeitung (NZZ)
Photo mit freundlicher Genehmigung von Stelios Misinas / Reuters